Gläubiger handelt mit Anfechtungsrisiko, wenn er sich nicht informiert – § 133 Abs. 1 S. 2 InsO

Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 26.10.2023 einmal mehr mit der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO befasst. Während die Vorinstanzen die Anfechtung noch abgelehnt hatten, sah der BGH dies in seiner Entscheidung vom 26.10.2023 – IX ZR 112/22 erstmal nicht so, hob auf und verwies zur erneuten Entscheidung zurück zum Kammergericht Berlin.

Der BGH befasst sich in dieser Leitsatzentscheidung vornehmlich mit der Frage der Beweislast des Gegenbeweises, wenn der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz entsprechend § 133 Abs. 1 S. 2 InsO vermutet wird. Der BGH prägt zudem den Begriff des Handelns mit Anfechtungsrisiko des Anfechtungsgegners bzw. Gläubigers.

Die Leitsätze des BGH-Urteils vom 26.10.2023 – IX ZR 112/22 lauten wie folgt:

  1. Wird die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vermutet, muss der Anfechtungsgegner den Beweis des Gegenteils führen.
  2. Der Beweis des Gegenteils ist geführt, wenn der Anfechtungsgegner zur Überzeugung des Tatrichters davon ausgehen durfte, der Schuldner werde in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit seine übrigen, bereits vorhandenen und absehbar hinzutretenden Gläubiger vollständig befriedigen.
  3. Die Annahme, der Schuldner werde in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit seine übrigen, bereits vorhandenen und absehbar hinzutretenden Gläubiger vollständig befriedigen, erfordert eine hinreichend verlässliche Beurteilungsgrundlage.

Ein Insolvenzanfechtungsanspruch nach § 133 Abs. 1 InsO ist zunächst dann möglich, wenn eine anfechtbare Rechtshandlung vorliegt, die der Schuldner innerhalb der letzten 10 Jahren vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren vorgenommen hat, mit der Absicht seine Gläubiger zu benachteiligen und der andere Teil diesen Vorsatz des Schuldners kannte. Wie bei allen Anfechtungstatbeständen der Insolvenzordnung muss dee Rechtshandlung zudem zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt haben.

Der BGH hat sich in seiner jüngeren Rechtsprechung sehr detailliert mit den Voraussetzungen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners und insbesondere dem Beweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners davon auseinandergesetzt.

Diese Rechtsprechung hat die Insolvenzverwalter bezüglich einer Anfechtung nach § 133 InsO in eine schwierige Lage versetzt, weil der Vollbeweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners in vielen Fällen, mangels dem Verwalter vorliegenden dafür notwendigen Informationen, nach der BGH-Rechtsprechung faktisch unmöglich geworden und oft nur noch theoretischer Natur ist. Daraus folgte eine relative tendenziell ablehnende Haltung der Instanzgerichte gegenüber Insolvenzanfechtungen nach § 133 InsO. Dies obwohl der BGH immer wieder betont, dass er keineswegs seine gesamte Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung geändert hat (z.B. BGH 12.01.2023 – IX ZR 71/22).

In den Vorinstanzen des Urteils vom BGH vom 26.10.2023 – IX ZR 112/22 hatte die Vorsatzanfechtung ebenso keinen Erfolg. Der BGH hob dies nun auf und verwies zur erneuten Entscheidung zurück.

Der Maßgebliche Punkt für den BGH ist im vorliegenden Fall die Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO. Danach wird die Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes beim Anfechtungsgegner vermutet, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligt.

Bei einer Anfechtung einer kongruenten Rechtshandlung nach § 133 Abs. 1,2 InsO wird die drohende Zahlungsunfähigkeit gemäß § 133 Abs. 3 S. 1 InsO durch die eingetretene ersetzt.

Eine Lesart der BGH-Entscheidung vom 26.10.2023 – IX ZR 112/22 ist daher, dass diese gesetzliche Vermutung in der Instanzenrechtsprechung demnach nicht hinreichend gewürdigt wurde. Dies auch und gerade hinsichtlich der Beweislast, den Anforderungen an die Überzeugung des Richters dabei, des zu gewichtenden Handelns des Anfechtungsgegners und nicht zu Letzt der unzutreffenden Übertragung der BGH-Rechtsprechung zum Vollbeweis der Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes auf die Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO.

Der BGH hatte bereits in seiner Entscheidung vom 12.01.2023 – IX ZR 71/22 darauf hingewiesen, dass Rechtsprechung des BGHs zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bzw. dessen Kenntnis beim Anfechtungsgegner entsprechend § 133 Abs. 1 S. 1 InsO keine Auswirkungen auf die Geltung der Vermutungsregelung nach § 133 Abs. 1 S. 2 InsO hat. Ganz im Gegenteil besteht diese inkl. der bisherigen BGH-Rechtsprechung fort.

Das BGH-Urteil vom 26.10.2023 – IX ZR 112/22 ist damit das zweite bedeutende Urteil des BGHs innerhalb kurzer Zeit, dass die Relevanz des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO und die darin enthaltene Vermutungsregelung hervorhebt.

Der BGH führt aus, dass der Anfechtungsgegner danach im Rahmen der allgemeinen Beweislastregelung gehalten ist, den Vollbeweis zu führen, dass der Schuldner in absehbarer Zeit alle seine übrigen und hinzutretenden Gläubiger befriedigen können wird. Kann er dies nicht, greift die Vermutung, soweit sich darauf erfolgreich berufen wurde, und die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht wird intendiert.
Dabei reicht eine bloße Hoffnung darauf nicht aus, davon auszugehen, dass der Schuldner alle seine Gläubiger in naher Zukunft wird vollständig befriedigen können. Es müssten konkrete Informationen und Anhaltspunkte dafür vorliegen, die einer objektiven Betrachtung zugänglich sind und eine positive Prognose ermöglichen (z.B. ernsthafte und erfolgsversprechende Sanierungskonzepte).

Der BGH weist zudem explizit darauf hin, dass die volle Überzeugung des Tatrichters von der Unkenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht notwendig ist. Es reiche weder aus, dass der Richter unsicher ist, ob der Gläubiger in Unkenntnis gewesen ist, noch dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vermuten ließe. Nein, es muss der volle Beweis geführt sein, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Insolvenzanfechtungsgegner keine Kenntnis hatte. Nur dies würde laut BGH die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO widerlegen.

In diesem Zusammenhang geht der BGH in seinem Urteil vom 26.10.2023 – IX ZR 112/22 auch auf die Verpflichtung des Anfechtungsgegners ein, sich ggf. Sachkundig zu machen und Informationen einzuholen. Immer wieder ist bei betroffenen Anfechtungsgegnern zu hören, dass es keine Erkundigungspflichten oder Informationsbeschaffungspflichten gäbe. Das war schon bisher in dieser Allgemeinheit unzutreffend und es ist in diesem besonderen Fall vom BGH ebenso anders gesehen worden.

Der BGH statuiert eine Informationspflicht des Gläubigers, wenn er Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit beim Schuldner sieht oder erkennen könnte und sich nicht davon überzeugt, dass der Schuldner in seiner Gänze gegenüber allen anderen Gläubigern solvent ist. Der BGH spricht insoweit davon, dass der Anfechtungsgegner sodann mit Anfechtungsrisiko handelt, wenn er es unterlässt Informationen einzuholen und damit das Risiko trägt, dass der spätere Insolvenzverwalter die Rechtshandlung des Schuldners aufgrund § 133 InsO anficht und sich auf die Vermutung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO beruft.

Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Instanzenrechtsprechung auf die Rechtsprechung des BGHs zum § 133 InsO und der Vorsatzanfechtung reagiert.