Keine Definitionsmacht der Banken bei Risikokategorien

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat am 18.12.2013 (Az. 9 U 52/13) ein für Anleger wegweisendes Urteil erlassen. Es hat sich hierbei mit den Risikokategoriebegriffen der beklagten Bank beschäftigt. Viele Anleger kennen diese Schlagworte, die sich auf den Explorationsbögen der Bank finden. Zur Führung dieser sind Banken gesetzlich verpflichtet. Sie müssen entsprechend den Vorgaben des Kreditwesengesetzes bei jedem Anleger unter anderem erfragen, ob und welche Risikobereitschaft er hat, welche Erfahrung und wie seine finanziellen Verhältnisse sind.

Nicht gesetzlich geregelt sind hingegen die genauen Begriffe und Inhalte dieser Fragebögen. Es bleibt weitestgehend den Banken überlassen, wie sie diese formulieren und ausgestalten.

Unklare oder auslegungsbedürftige Formulierungen sind aus Sicht des Kunden zu beurteilen!

Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied nun, dass Begriffe aus dem Explorationsbogen wie Wachstum und Chance nach dem objektiven Anlegerhorizont auszulegen sind und damit nicht nach dem, was die beklagte Bank darunter meint zu verstehen.

Bei den Beratungsprotokollen handelt es sich generell um ein zweischneidiges Schwert für Anleger. Zwar gibt es ihnen die Möglichkeit handfeste Beweise vorzulegen und damit belegen zu können, dass eine Anlage für sie nicht geeignet war, allerdings eröffnet es auch der Bank die Möglichkeit, dem Anleger ein riskantes Anlageverhalten zu unterstellen.

Der Grund dafür liegt in den Formulierungen der Fragebögen. Diese müssen für die Bank mehrere Funktionen haben. Die Bank muss ihren gesetzlichen Pflichten nachkommen, gleichzeitig muss der Kunde eine für die empfohlene Anlage ausreichend hohe Risikoeinstufung haben, sonst kann die Order nicht ausgeführt werden und zum anderen dürfen die Formulierungen den Anleger nicht verschrecken. Daher klagen viele Anleger darüber, dass ihnen oft gar nicht klar ist, was sich hinter den Begriffen wie „Wachstumsorientiert“ oder „Risikobewusst“ verbirgt. Für viele Anleger bedeutet es vermehrt auf Sicherheit bedacht zu sein. Für die Bank hingegen bisweilen genau das Gegenteil.

Nicht immer ist für den Kunden klar, was mit Begriffen wie „Chancen“ „Wachstum“ „Überdurchschnittlich“ gemeint ist.

Dem unkundigen Anleger erschließt sich daher nicht immer, welche Risiken er überhaupt mit diesen Kategorien eingeht und in welchem Umfang sie bestehen. Vor Gericht kommt es dann zu einer Auslegung der Begriffe und was konnte oder durfte die Bank darunter verstehen. Bisher lag die Definitionsmacht bei den Banken. Mit dem Urteil des Oberlandesgericht Stuttgart könnte sich dies nun ändern.

Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied zu Gunsten des Anlegers.

Bei dem vom Oberlandesgericht Stuttgart entschiedenen Fall ging es um einen Anleger der 750.000 € investieren wollte und dafür ein Gespräch bei der beklagten Bank führte. Diese empfahl im 10 Finanzprodukte, die im Anschluss an das Gespräch geordert wurden. Dabei wurden zunächst anhand von mehreren Fragen und Auswahlmöglichkeiten im Depotvertrag die Erfahrungen, Kenntnisse und Risikoorientierung des Anlegers erfragt. Streitgegenstand waren hierbei unter anderem die Formulierungen der Anlagestrategien „Wachstum“ und „Chance“.

Dabei war unter der Anlagestrategie „Wachstums“ von hohen Gewinnchancen die Rede und hohen Wertverlusten. Bei der Anlagestrategie „Chance“ hingegen ging es um überdurchschnittliche Gewinnchancen und außergewöhnlich hohe Wertentwicklungen, sowie sehr hohe Wertverluste.

Bereits wenige Wochen nach dem Kauf der Wertpapiere war ein Kursverlust in Höhe von ca. 40.000 € eingetreten. Die Klägerin bzw. der Zedent sprach erneut bei der beklagten Bank vor und verlangte schließlich die Rückabwicklung der getätigten Geschäfte. Erstinstanzlich unterlag die Klägerin weitestgehend. In der Berufung hatte sie nun größtenteils erfolg und ihr wurde der gesamte Schaden zugesprochen. Dies, obwohl das Gericht erhebliche bedenken an der Glaubwürdigkeit des Geschädigten hatte und dessen Aussage als eher lückenhaft und widersprüchlich und wenig glaubhaft bezeichnete. Gegen die beklagte Bank sprach allerdings, dass sie schon kein unterschriebenes Beratungsprotokoll vorlegen konnte und die bereits benannten Formulierungen aus dem Depotvertrag.

Keine Anlegergerechte Beratung.

Das Oberlandesgericht Stuttgart geht davon aus, dass der Zedent nicht anlegergerecht beraten wurde und die Anlageempfehlungen nicht seiner Risikobereitschaft entsprachen. Das Gericht geht davon aus, dass sich die Beschreibungen den Anlagestrategien nicht aus sich selbst erschließen. Die Formulierungen zu viele Fragen offen lassen und die Ausführungen daher entsprechend §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen sind.

Demnach sind die Ausführungen zu Risikokategorien so zu verstehen, „wie sie ein potenzieller Anleger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Umstände, die ihm bekannt oder zumindest erkennbar sind, beimisst.“

So das Oberlandesgericht wörtlich in seiner Entscheidung.

Darauf begründete das Gericht seine weiteren Ausführungen. Nach diesen muss die Bank sich bei der Zusammenstellung von Portfolios oder Anlageempfehlungen an die tatsächliche Risikoklassifizierung der jeweiligen Produkte halten und nicht deren pauschalen Kategorie als etwa Aktie, Fonds oder Rentenpapier. In jedem Segment gibt es riskantere und weniger riskantere Produkte. Ein Rentenpapier, welches einen möglichen Totalverlust beinhaltet, kann demnach nicht dem sicheren kapitalerhaltenden Teils des Portfolios zugeschrieben werden. Es muss für den Kunden deutlich werden, was unter den empfohlenen Finanzprodukten hinsichtlich Chancen-Risikenverhältnis tatsächlich zu verstehen ist. Außerdem muss der Kunde in der Lage sein, sein Depot nach der Beratung, eigenverantwortlich führen zu können d.h. die Produkte und deren Risiken verstanden haben, um diese managen zu können.

Wegweisende Entscheidung mit neuen Ansätzen.

Insbesondere mit den Ausführungen hinsichtlich der Auslegung der Anlagestrategien und denen zur Einstufung von Wertpapieren, dass die gesamte Beratung transparent sein muss für den Anleger, hat das Oberlandesgericht Stuttgart eine wegweisende Entscheidung getroffen. Diese ist vor allem für Anleger interessant, die eine Kapitalerhaltende sichere Anlage wünschten oder deren Risikoanteile im Depot höher ausgefallen sind, als es ihnen durch den Berater suggeriert wurde.

Die Revision wurde zwar nicht zugelassen, es ist jedoch dem Verfasser nicht bekannt, ob dagegen Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt wurde oder ob das Urteil rechtskräftig geworden ist.