Der BGH befasst sich in seinem Urteil vom 08.10.2025 – IV ZR 161/24 mit der Risikoverteilung bei manipulierten Kontoverbindungen im Zahlungsverkehr.
Dem Urteil lag eine für die Praxis relevante Konstellation zugrunde: Zwischen zwei Parteien war ein Vergleich über die Zahlung von 30.000 € geschlossen worden. Die Vergleichsvereinbarung enthielt eine konkrete IBAN, auf die der Schuldner die Vergleichssumme zu überweisen hatte. Auf dem Postweg wurde die Vereinbarung jedoch von Dritten manipuliert; die IBAN wurde zunächst unbemerkt ausgetauscht. Der Schuldner überwies den Betrag auf das falsche Konto. Das Geld verschwand, und der Gläubiger verlangte die Zahlung erneut.
Der Schuldner berief sich darauf, er habe seine Leistung ordnungsgemäß erbracht, da er die im Vergleich genannte Kontoverbindung genutzt habe. Das Berufungsgericht gab indes der Klage statt. Die Revision blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe des BGH
Der BGH bestätigte, dass keine Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB eingetreten war. Eine Geldschuld ist erst dann erfüllt, wenn der geschuldete Betrag dem Gläubiger oder einem wirksam ermächtigten Dritten endgültig gutgeschrieben wird. Dies war hier nicht der Fall, da die manipulierte IBAN zu einem Konto führte, das dem Gläubiger weder gehörte noch von ihm autorisiert war.
Nach Auffassung des Gerichts trägt der Schuldner gemäß § 270 Abs. 1 BGB grundsätzlich das Risiko, dass die Zahlung beim Gläubiger nicht ankommt. Die Angabe einer Bankverbindung im Vertrag stellt keine Ermächtigung dar, an den jeweiligen Kontoinhaber zu leisten, sondern lediglich eine Zahlungsanweisung.
Ein Verschulden auf Seiten des Gläubigers verneinte der BGH. Weder treffe diesen noch seinen Vertreter eine Pflicht, nachträglich die Richtigkeit der im Vergleich enthaltenen IBAN zu überprüfen, noch begründe der Umstand, dass der manipulierte Vergleich an ihn zurückgesandt wurde, eine besondere Kontroll- oder Mitteilungspflicht.
Bewertung
Die Entscheidung überzeugt im Ausgangspunkt, soweit der BGH die dogmatische Linie seiner bisherigen Rechtsprechung fortsetzt: Die Erfüllung einer Geldschuld setzt den tatsächlichen Zahlungseingang beim Gläubiger voraus. Auch in der modernen digitalen Zahlungswelt bleibt der Grundsatz bestehen, dass der Schuldner die Gefahr des Geldtransfers trägt, solange keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde (was selten der Fall ist).
Problematisch ist jedoch die konsequente Verlagerung des Risikos auf den Schuldner. Im elektronischen Rechtsverkehr gibt heute regelmäßig der Gläubiger die Kontoverbindung vor; eine Zahlung in bar oder vor Ort ist kaum noch praktikabel. Der Schuldner kann faktisch nicht prüfen, ob das angegebene Konto tatsächlich dem Gläubiger gehört. Insofern erscheint es nicht mehr zeitgemäß, die Gefahr manipulierter Kontodaten vollständig ihm zuzuschreiben.
Die Entscheidung verdeutlicht zudem, dass der BGH – trotz digitaler Realitäten – am traditionellen Leitbild des § 270 BGB festhält, wonach der Schuldner „auf seine Gefahr und seine Kosten“ am Wohnsitz des Gläubigers zu leisten hat. Dies steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Lebenswirklichkeit, in der Überweisungen die Regel und Bargeldzahlungen nahezu ausgeschlossen sind – zumal der Gesetzgeber die Barzahlung im Zuge der Geldwäscheprävention weiter zurückdrängt.
Ein weiteres Spannungsfeld betrifft die Frage, ob nicht zumindest eine sekundäre Sorgfaltspflicht des Gläubigers zu erwägen wäre, wenn dieser eine manipulierte Fassung eines von ihm selbst versandten Vergleichs zurückerhält. Der BGH lehnte eine solche Pflicht im vorliegenden Fall ab. Das erscheint mit Blick auf die Schutzwürdigkeit des Schuldners diskutabel, zumal der Gläubigervertreter den gefälschten Inhalt unter Umständen hätte erkennen können.
Bedeutung für die Praxis
Für Schuldner verdeutlicht die Entscheidung, dass sie künftig noch größere Sorgfalt bei der Prüfung von Kontodaten walten lassen müssen. Es empfiehlt sich, Kontoverbindungen vor Überweisungen – insbesondere bei einmaligen Zahlungen im Rahmen von Vergleichen oder Verträgen – auf anderem Wege zu bestätigen.
In praktischer Hinsicht bleibt die vom BGH gedachte rechtliche Möglichkeit, das Geld gemäß § 270 BGB physisch „beim Gläubiger vor der Tür“ zu leisten, ein bloß theoretischer Ausweg: Sie steht in offenem Widerspruch zu den heutigen Gepflogenheiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und den zunehmenden gesetzlichen Beschränkungen von Bargeldtransaktionen.
Die Entscheidung markiert damit eine bewusste Rückbesinnung auf klassische Schuldrechtsprinzipien, wirft jedoch die Frage auf, ob das Leitbild des § 270 BGB in Zeiten digitaler Kommunikation und manipulationsanfälliger Überweisungswege nicht einer zeitgemäßen Auslegung bedarf.
V. Fazit
Der BGH hält an der traditionellen Risikoverteilung bei Geldschulden fest: Das Überweisungsrisiko liegt beim Schuldner. Dies ist dogmatisch konsequent, in der praktischen Anwendung jedoch nicht immer realitätsnah.
Zu betonen ist, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt. Die Ausführungen des BGH sind eindeutig im Kontext des konkreten Sachverhalts zu verstehen. In abweichenden Konstellationen – etwa wenn der Gläubiger einer Manipulation Vorschub leistet oder im Umgang mit Kontodaten nicht die gebotene Sorgfalt walten lässt – könnte die rechtliche Bewertung durchaus anders ausfallen.
