EuGH befasst sich mit der Widerrufsbelehrung für Immobiliendarlehensverträge zwischen 11.06.2010 – 20.03.2016

Der EuGH hat mit Urteil vom 26.03.2020 Az. C-66/19 festgestellt, dass die in Deutschland für Darlehensverträge und Kredite verwendete Widerrufsbelehrung aus der Anlage 6 bzw. 7 des Art 247 § 6 Abs. 2 EGBGB in der jeweiligen Fassung nicht mit den Vorgaben der EU-Richtlinie 2008/48 zu vereinbaren sind.

Der EuGH führt in seiner Entscheidung vom 26.03.2020 Az. C-66/19 aus, dass die Formulierung in den Widerrufsinformationen, dass die Widerrufsfrist erst beginnt, wenn die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB übergeben wurden, nicht klar und prägnant im Sinne der EU-Richtlinie (Richtlinie 2008/48) ist und damit gegen EU-Recht verstößt.

Die Quintessenz dessen ist, dass alle Widerrufsbelehrungen von
Verbraucherdarlehensverträgen, die diese Formulierung enthalten (Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB), potenziell fehlerhaft sind. Bei fehlerhaften Widerrufsinformationen kann das Widerrufsrecht ggf. noch fortbestehen.

Bei (Immobilien-) Darlehens und Kreditverträgen die nach dem 11.06.2010 und vor dem 21.03.2016 von Verbrauchern geschlossen wurden, gilt weiterhin das sogenannte ewige Widerrufsrecht.

Nachdem der EuGH festgestellt hat, dass die Formulierung, die der deutsche Gesetzgeber im damaligen Muster für die Widerrufsbelehrung verwendet hat, gegen die Vorgaben der EU-Richtlinie verstoßen, sind damit dem Wortlaut nach alle betroffenen Widerrufsinformationen kompromitiert.

Ganz konkret führt der EuGH in seinem Urteil vom 26.03.2020 Az. C-66/19 aus, dass die Widerrufsinformationen von Darlehensverträgen und Krediten mit der Angabe „Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ nicht klar und prägnant seien, da der Verbraucher nicht erkennen kann, auf welche Pflichtangaben es ankommt. Der § 492 Abs. 2 BGB verweist seinerseits auf Art 247 §§ 6 – 13 EGBGB in der jeweiligen Fassung. Der Art 247 verweist sodann erneut, je nachdem um was es sich für ein Darlehen oder Kredit handelt, auf unterschiedliche Pflichtangaben.

Der unbefangene Verbraucher muss daher selbstständig entscheiden können, nicht nur welche Pflichtangaben für ihn eben solche Pflichtinformationen sind, sondern auch noch ob er ein grundpfandrechtlich besichertes Darlehen im Sinne des § 503 BGB a.F. abgeschlossen hat und sich daraus sodann reduzierte Informationspflichten der Bank ergeben oder nicht.

Der EuGH sagt hier eindeutig, dass dies den normalen verständigen Verbraucher überfordert und daher die Angaben nicht hinreichend deutlich sind.

Der XI. Senat des BGHs, der für Widerrufsverfahren mit Banken und Sparkassen zuständig ist, hat dies bisher vollständig anders gesehen. Der BGH hat dem normalen und verständigen Verbraucher unterstellt, dass er ohne weiteres in der Lage sei, das Gesetz zu lesen und zu verstehen. Der BGH hat die jetzt vom EuGH gekippt Formulierung als völlig einwandfrei und für den Verbraucher verständlich klassifiziert gehabt.

Insbesondere der Umstand, dass der EuGH den normalen verständigen Verbraucher gänzlich anders definiert als der BGH, dürfte weit über den Einzelfall hinaus Bedeutung erlangen.

Der BGH wird einen anderen Maßstab an das Verständnis des durchschnittlichen Darlehensnehmers anlegen müssen. Andernfalls riskiert er eine erneute Ohrfeige des EuGHs. Nicht weniger war das jetzt ergangene Urteil des EuGHs vom 26.03.2020 Az. C-66/19 nämlich für die bisherige Rechtsprechung des BGHs zum neueren Widerrufsrecht.

Ähnlich wie der BGH in den letzten Jahren diverse Oberlandesgerichte wegen ihrer Rechtsprechung zum Widerruf von Darlehens- und Kreditverträgen gescholten hatte, widerfuhr es dem BGH nun vom EuGH.

Ergänzend führt der EuGH in der genannten Entscheidung vom 26.03.2020 Az. C-66/19 aus, dass der deutsche Gesetzgeber bei der EU-Richtlinie 2008/48 von der Opt-In Möglichkeit für Immobiliendarlehensverträge gebrauch gemacht hat, sodass es überhaupt zu der Rechtsprechung des EuGH und der Anwendung der Grundsätze der Richtlinie kommen konnte.

Das EuGH Urteil vom 26.03.2020 Az. C-66/19 schlägt in die bisherige BGH-Rechtsprechung ein wie eine Bombe und viele BGH-Urteile der jüngeren Vergangenheit scheinen nun mit der bisherigen Begründung nicht mehr aufrecht zu halten sein. Die gesamte neue Rechtsprechung des BGHs zum Widerruf von Darlehensverträgen wird sich an dem jetzt ergangenen Urteil des EuGHs messen lassen müssen.

Allerdings ist das EuGH Urteil insoweit mit Vorsicht zu genießen, dass es auch vieles nicht anspricht, was nicht Teil der Vorlage an den EuGH gewesen ist.

Sofern die Bank das gesetzliche Muster der Widerrufsinformationen unverändert in deutlicher und hervorgehobenen Weise verwendet hat, kann sie sich nach Art 247 § 6 Abs. 2 EGBGB auf die sogenannte Gesetzlichkeitsfiktion berufen. Danach wird von Gesetzeswegen unwiderruflich vermutet, dass damit rechtskonform über das Widerrufsrecht belehrt wurde.

Ob diese Gesetzlichkeitsfiktion im Lichte der EuGH-Rechtsprechung noch zu halten ist, wenn das zugrundeliegende Muster gegen EU-Recht verstößt, bleibt abzuwarten.

Es erscheint wie eine Umgehung des EU-Rechts durch die Hintertür, wenn die Umsetzung des EU-Rechts fehlerhaft ist, sodann aber das Vertrauen darauf unwiderruflich zu schützen, sodass die Verletzung des EU-Rechts keine Folge hat.

Interessant ist die EuGH Rechtsprechung vom 26.03.2020 Az. C-66/19 für Immobilienkredite die zwischen dem 11.06.2010 und 20.03.2016 geschlossen wurden. Der Gesetzgeber hat das Muster ab dem 21.03.2016 für Immobiliendarlehen geändert und eine Höchstfrist für das Widerrufsrecht von einem Jahr und 14 Tagen eingeführt unabhängig davon, ob überhaupt belehrt wurde. Hier war die fehlerhafte Formulierung nicht mehr enthalten.

Bei allgemeinen Verbraucherdarlehensverträgen entfaltet das EuGH Urteil hingegen Wirkung für alle Verträge die ab dem 11.06.2010 geschlossen wurden. Hier wurde das gesetzliche Muster zum 21.03.2016 nicht korrigiert, sodass die vom EuGH monierte Formulierung immer noch vorhanden ist, bis das Muster geändert wird.

Besonders relevant dürfte die EuGH Entscheidung indes für die Verträge sein die zwischen Juni 2010 und 2012 geschlossen wurden. Hier haben Banken teilweise noch nicht das gesetzliche Muster vollständig unverändert übernommen gehabt.

Gleichwohl ist es jetzt so, dass jede Veränderung der vom EuGH als fehlerhaft angesehenen gesetzlichen Musterwiderrufsinformationen die Widerrufsinformationen des Darlehensvertrages in Frage stellen und potenziell angreifbar machen.

Betroffene die einen Widerruf in Erwägung ziehen, sollten sich anwaltlich beraten lassen. Ob ein Widerrufsrecht ggf. noch besteht hängt immer ganz konkret vom vorliegenden Sachverhalt und den Umständen ab.

Ob und wie der BGH auf die EuGH-Rechtsprechung reagieren wird, bleibt abzuwarten. Bisher hat der BGH sich in den Widerrufsverfahren dagegen entschieden Fragen dem EuGH vorzulegen.

UPDATE 20.04.2020:

Der BGH hat in ersten Beschlüssen zum EuGH Urteil Stellung genommen (BGH 31.03.2020 — XI ZR 198/19 & XI ZR 581/18). Im Ergebnis ist der BGH nicht bereit von seiner bisherigen Linie abzuweichen oder seine bisherige Rechtsprechung zu revidieren. Es gilt weiterhin die Gesetzlichkeitsfiktion für die Verwendung des gesetzlichen Musters für die Widerrufsinformationen. Hinsichtlich Immobiliendarlehen lehnt der BGH indes sogar jede Wirkung des Urteils ab, da die zugrundeliegende Richtlinie nicht vom deutschen Gesetzgeber für Immobiliendarlehn umgesetzt wurde und nur das gelte, was deutsche Gerichte dazu sagen.

Der BGH macht mehr als deutlich, dass er an seiner Rechtsprechung festzuhalten gedenkt und es zu keiner großen Änderung aufgrund des EuGH Urteils kommen wird.

Die auseinanderfallenden Ansichten und Argumentationen des EuGHs und des BGHs werfen kein gute Bilde auf das Verhältnis des BGHs zum EuGH. Dies auch deshalb nicht, weil der BGH weiterhin eine eigene Vorlage an den EuGH ablehnt. Einige Landgerichte, die genau diesen Weg gewählt haben, werden dafür vom BGH zudem kritisiert. Dies obwohl der EuGH nunmehr die Ansicht des BGHs nicht geteilt hat und vieles anders sieht und damit eigentlich die Ansicht der LGs zur Vorlage bestätigt hat.

Der weiterhin geltend gemachte omnipotente Anspruch des BGHs auf die alleinige Deutungshoheit zum Widerrufsrecht von Kredit- und Darlehensverträgen dürfte im Lichte des EuGH-Urteils für den Verbraucher nur noch schwer nachvollziehbar sein.

Dies wird gestützt durch weitere Vorlagen zum EuGH in Sachen Widerrufsrecht, bei denen sich ebenfalls abzeichnet, dass der EuGH in einigen Punkten nicht mit dem BGH einer Meinung ist. So hat das LG Kiel etwa dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es sich bei Prolongationen von Kredit- und Darlehensverträgen um Finanzdienstleistungen im Rahmen des Fernabsatzes im Sinne der EU-Richtlinie handeln kann und mithin ein Widerrufsrecht bestünde.