EuGH befasst sich erneut mit dem Widerruf von Darlehensverträgen

Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 09.09.2021 in den Rechtssachen C‑3320, C‑15520 und C‑18720 einige wichtige Ausführungen zum Widerrufsrecht von Verbraucherdarlehensverträgen gemacht.

Der EuGH hat dabei u.a. zu den Anforderungen an die Angabe des Verzugszinses, der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung, sowie etwaiger Verwirkung und Rechtsmissbrauchs des Widerrufsrechts Stellung bezogen.

Der EuGH führt aus, welche Anforderungen an einige klar und prägnat darzustellende Pflichtinformatione nach §§ 495, 492 Abs. 2 BGB a.F. i.V.m. Art 247 §§ 6 – 13 EGBGB a.F. im Sinne der Richtlinie 2008/48/EG zu stellen sind.

Fehlen Pflichtinformationen im Sinne des Gesetzes im Darlehensvertrag, kann dies zu einem fortbestehenden Widerrufsrecht führen.

Die Rechtsprechung des EuGHs vom 09.09.2021 in den Rechtssachen C‑3320, C‑15520 und C‑18720 steht dabei zum Teil im direkten Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in vergleichbaren Fällen.

Maßgeblich für die Entscheidung des EuGHs vom 09.09.2021 in den Rechtssachen C‑3320, C‑15520 und C‑18720 sind drei Vorlageentscheidungen des LG Ravensburg.

Es ging jeweils um den Widerruf von Verbraucherdarlehensverträgen, die der Finanzierung von Autos dienten. Die Darlehensnehmer hatten jeweils den Widerruf erklärt. Die beteiligten Banken (die Volkswagen Bank GmbH (C-33/20); Volkswagen Bank GmbH und Skoda Bank, Zweigniederlassung der Volkswagen Bank GmbH (C‑155/20); BMW Bank GmbH und Volkswagen Bank GmbH (C‑187/20)) hatten den Widerruf zurückgewiesen.

Der EuGH hatte sich nunmehr mit der Frage zu befassen, ob diverse Angaben in den jeweiligen Darlehensverträgen mit den europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2008/48/EG zu vereinbaren sind.

Betroffen von der Entscheidung des EuGHs in den Rechtssachen C‑3320, C‑15520 und C‑18720 sind primär Verbraucherdarlehensverträge, die ab dem 30.07.2010 geschlossen wurden und die nicht dinglich besichert sind. In wie weit das ein oder andere auch auf für neuere Verbraucherimmobiliendarlehensverträge interessant werden könnte, bleibt abzuwarten.

Bei Verbraucherdarlehensverträgen muss der gewerbliche Kreditgeber eine Reihe von Pflichtinformationen im Vertrag benennen, die der europäische Gesetzgeber in der Richtlinie 2008/48/EG näher umfasst hat und auf die der deutsche Gesetzgeber in den § 495, 492 Abs. 2 BGB a.F. i.V.m. Art 247 §§ 6 – 13 EGBGB a.F. verweist. Einige dieser besonders wichtigen Daten müssen in klarer, prägnanter Form dargestellt sein. Fehlen diese Informationen in der Gebotenen Form, kann dies dazu führen, dass das Widerrufsrecht des Darlehensnehmers fortbesteht.

Der EuGH geht hier u.a. besonders auf die Darstellung des Verzugszinssatzes ein. Der EuGH setzt sich mit der Frage auseinander ob die vielfach verwendeten Formulierungen „fünf Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz“ und „Der jährliche Verzugszinssatz beträgt fünf Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz. Der Basiszinssatz wird von der Deutschen Bundesbank ermittelt und jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres festgesetzt“ hinreichend informativ für den nicht fachkundigen Darlehensnehmer sein können.

Der EuGH führt insoweit aus, dass der Darlehensgeber den konkreten Verzugszinssatz zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in einer konkreten Prozentzahl ausdrücken muss. Andernfalls könnte der Verbraucher die tatsächliche Belastung nicht erkennen. Ein einfacher Verweis auf die nationale Rechtslage reicht hier für den Verbraucher im Rahmen der von der Richtlinie vorgegebenen Grenzen nicht aus.

„Verweist aber ein Verbrauchervertrag hinsichtlich der Informationen, die nach Art. 10 der Richtlinie 2008/48 anzugeben sind, auf bestimmte Vorschriften des nationalen Rechts, so kann der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung nicht bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Kreissparkasse Saarlouis, C‑66/19, EU:C:2020:242, Rn. 44).“

„Da der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags geltende Verzugszinssatz eine bezifferte Angabe darstellt, was insbesondere dann nicht der Fall wäre, wenn es sich um einen variablen Zinssatz handelte, muss dieser Verzugszinssatz im Kreditvertrag konkret in Form eines Prozentsatzes angegeben werden.“

EuGH 09.09.2021 C‑3320, C‑15520 und C‑18720

Hat die Bank daher im Verbraucherdarlehensvertrag den Verzugszinssatz nicht als Prozentzahl benannt, fehlt im Sinne der jetzigen EuGH-Rechtsprechung eine Pflichtinformation.

Dabei muss nicht nur der Verzugszinssatz genannt werden, sondern auch die Bedingungen unter denen sich dieser ändern kann.

„Erstens muss die Darstellung dieser Berechnungsmethode für einen Durchschnittsverbraucher, der nicht über Fachkenntnisse im Finanzbereich verfügt, leicht verständlich sein und es ihm ermöglichen, den Verzugszinssatz auf der Grundlage der im Kreditvertrag enthaltenen Angaben zu berechnen. Zweitens muss auch die Häufigkeit der Änderung dieses Basiszinssatzes, die sich nach den nationalen Bestimmungen richtet, in diesem Kreditvertrag angegeben werden (vgl. entsprechend Urteil vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 53).“

EuGH 09.09.2021 C‑3320, C‑15520 und C‑18720

Ebenfalls laienfreundlich fasst sich der EuGH bei den Anforderungen an die Darstellung der Vorfälligkeitsentschädigung. Zwar muss der Darlehensvertrag nicht die konkrete Formel enthalten, aber der unkundige Darlehensnehmer muss anhand der im Darlehensvertrag vorhandenen Angaben und Daten in die Lage versetzt werden, die Vorfälligkeitsentschädigung abzusehen.

Die häufig verwendete Formulierung „das Recht auf vorzeitige Rückzahlung, das Verfahren bei vorzeitiger Rückzahlung und gegebenenfalls Informationen zum Anspruch des Kreditgebers auf Entschädigung sowie zur Art der Berechnung dieser Entschädigung“ reicht hierzu alleine nicht aus.

„Nach alledem ist auf die zweite Frage in den Rechtssachen C‑33/20 und C‑155/20 und die vierte Frage in der Rechtssache C‑187/20 zu antworten, dass Art. 10 Abs. 2 Buchst. r der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens fälligen Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise anzugeben ist, so dass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der in diesem Vertrag erteilten Informationen bestimmen kann.“

EuGH 09.09.2021 C‑3320, C‑15520 und C‑18720

Daneben hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 09.09.2021 in den Rechtssachen C‑3320, C‑15520 und C‑18720 gewichtige Ausführungen in Sachen Verwirkung und Rechtsmissbrauch beim Widerruf von Darlehensverträgen gemacht.

Verstößt der Darlehensnehmer gegen die Anforderungen auf die Pflichtinformationen nach der Richtlinie, darf er sich anschließend hinsichtlich des späten Widerrufs des Darlehensnehmers nicht auf die Verwirkung des Widerrufsrechtes berufen. Der EuGH führt aus, dass diese Auslegung nationalen Rechts die europäische Richtlinie einschränken würde und mithin nicht sein kann.

„Daher ist auf die vierte Frage in der Rechtssache C‑155/20 und auf die siebte Frage in der Rechtssache C‑187/20 zu antworten, dass Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass er es dem Kreditgeber verwehrt, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts gemäß dieser Bestimmung durch den Verbraucher auf den Einwand der Verwirkung zu berufen, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte, ohne dass er diese Unkenntnis zu vertreten hat.“

EuGH 09.09.2021 C‑3320, C‑15520 und C‑18720

 Ähnlich verhält es sich bei der vermeintlich rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehnsverträgen.

Hier sieht der EuGH die Möglichkeit der Annahme des Rechtsmissbrauchs nur insoweit als möglich an, wie es von den europäischen Grundsätzen gedenkt ist.

Allerdings schränkt der EuGH auch hier die Möglichkeit des Darlehensgebers erheblich ein. Der Darlehensgeber kann sich nämlich nicht auf eine vermeintlich rechtsmissbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts berufen, wenn er Pflichtinformationen nicht in der hinreichend gebotenen Art und Weise im Darlehensvertrag ge- oder benannt hat.

„Nach alledem ist auf die fünfte Frage in der Rechtssache C‑155/20 sowie auf die achte Frage in der Rechtssache C‑187/20 zu antworten, dass die Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass der Kreditgeber im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen darf, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte.“

EuGH 09.09.2021 C‑3320, C‑15520 und C‑18720

Gerade bei der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs trifft einen zentralen Punkt der bisherigen Rechtsprechung des BGHs in Sachen Widerrufs von Darlehensverträgen.

Es bleibt abzuwarten, wie der BGH auf die Entscheidung des EuGHs reagieren wird.

Darüber hinaus macht der EuGH in seiner Entscheidung in den Rechtssachen C‑3320, C‑15520 und C‑18720 noch einige weitere bemerkenswerte Aussagen.

Bei verbundenen Verträgen muss dies aus dem Kreditvertrag deutlich hervorgehen.

„Daher ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑187/20 zu antworten, dass Art. 10 Abs. 2 Buchst. a, c und e der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass im Kreditvertrag gegebenenfalls in klarer, prägnanter Form angegeben werden muss, dass es sich um einen „verbundenen Kreditvertrag“ im Sinne von Art. 3 Buchst. n dieser Richtlinie handelt und dass dieser Vertrag als befristeter Vertrag geschlossen worden ist.“

EuGH 09.09.2021 C‑3320, C‑15520 und C‑18720

Pflichtinformationen, die sich nicht direkt im Vertragsdokument befinden, gelten nur als rechtskonform dargeboten, wenn im Darlehensvertrag auf den Ort hingewiesen wird, wo sich die Informationen befinden und diese auf einem dauerhaften Datenträge befinden, den der Verbraucher erhält.

„Angaben die nicht direkt im Kreditvertrag sind, gelten nur dann, soweit es sich um Pflichtinformationen nach Art. 10 Abs. 2 handelt, die in klarer und Prägnanter Form genannt werden müssen, als im Dokument bzw. Vertrag, wenn im Vertrag auf die Unterlagen verwiesen wird, wo die genannten Informationen in der genannten Art und Weise ausgeführt sind.„

EuGH 09.09.2021 C‑3320, C‑15520 und C‑18720

Der EuGH legt bei der Bewertung der Frage, ob dem Darlehensnehmer noch ein Widerrufsrecht zusteht und ob dieses noch wirksam ausgeübt werden kann einen völlig anderen Maßstab an als der BGH. Dies gilt ebenso für den Empfängerhorizont des Darlehensnehmers und dessen was dieser verstehen darf und was nicht.