Grundsatzentscheidung vom BGH zum KfZ Darlehenswiderruf (BGH XI ZR 525/19 & XI ZR 498/19)

Der BGH hat in seinen Urteilen vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 und XI ZR 525/19 umfassend zum Widerruf von Darlehensverträgen Stellung genommen. Dabei ging es inhaltlich um die Finanzierung eines Autokaufs und den Widerruf des Darlehensvertrages.

Der positive Aspekt für Verbraucher ist, dass der BGH in diesen Entscheidungen vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 & XI ZR 525/19 seinen Widerstand gegen die Entscheidung des EuGHs vom 26.03.2020 Az. C‑66/19 teilweise aufgibt.

Negativ für Verbraucher ist hingegen vieles andere in den beiden Urteilen des BGHs vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 & XI ZR 525/19.

Bemerkenswert ist immerhin, dass der BGH seine Rechtsprechung zum EuGH Urteil vom 26.03.2020 Az. C‑66/19 ändert.

„Auf der Grundlage dieses Urteils hält der Senat im Geltungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie in Bezug auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge an seiner bislang entgegenstehenden Rechtsprechung nicht fest, wonach ein solcher Verweis klar und verständlich ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19. März 2019 XI ZR 44/18, WM 2019, 864 Rn. 15 f.).“

BGH 27.10.2020 – XI ZR 498/19

Irreführender Kaskadenverweis nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art 247 §§ 6 – 13 EGBGB

Der BGH bezieht sich in seinen Ausführungen vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 & XI ZR 525/19 auf die Formulierung in den Widerrufsinformationen, dass die Widerrufsfrist u.a. erst zu laufen beginnt, wenn der Darlehensnehmer alle Pflichtinformationen nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat.  

Der EuGH hatte diesen Verweis in den deutschen Widerrufsinformationen als nicht hinreichend klar und verständlich angesehen (EuGH 26.03.2020 Az. C‑66/19). Der § 492 Abs. 2 BGB verweist wiederum auf den Art 247 §§ 6 – 13 EGBGB. Hier muss sich der Darlehensnehmer die Pflichtinformationen sodann selbst zusammensuchen, die für seinen Konkreten Darlehensvertrag gelten.

Dem EuGH war das zu viel und für den normalen verständigen Verbraucher nicht zu verstehen.

Diese Ansicht dürfte durchaus praxisnah gewesen sein.

Der BGH hat hingegen jahrelang und auch nach dem EuGH Urteil vom 26.03.2020 Az. C‑66/19 die Ansicht vertreten, dass diese Formulierung für den normalen verständigen Darlehensnehmer ohne weiteres zu verstehen ist, da der anständige Bürger in der Lage ist das Gesetz zu lesen und zu verstehen (z.B. BGH 5.11.2019 – XI ZR 11/19).

Die Haltung des BGHs zu dieser Frage auch in Kenntnis des EuGH-Urteils war nicht nachvollziehbar (u.a. BGH 31.3.2020 – XI ZR 198/19, XI ZR 581/18, XI ZR 299/19). Daher ist es zu begrüßen, dass der BGH nunmehr seine Rechtsprechung dahingehend angepasst hat und zumindest teilweise konformität mit dem EuGH besteht.

Dieses gilt zumindest soweit es Allgemeine-Verbraucherdarlehensverträge anbelangt. Bei diesen steht, stand Verfassung des Artikels, diese fehlerhafte Formulierung immer noch in dem gesetzlichen Muster für die Widerrufsinformationen (Anlage 7 zum Art 247 EGBGB).

In dem aktuellen Muster der Widerrufsinformationen für Immobilienverbraucherdarlehen findet sich dieser Passus hingegen seit dem 21.03.2016 nicht mehr.

Generell bleibt der BGH bei Immobiliendarlehnsverträgen auch weiterhin bei seiner Ansicht, dass die hier bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen irreführende Formulierung zum Verweis auf die Pflichtinformationen nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art 247 §§ 6 – 13 EGBGB völlig anders zu bewerten ist. Ob er diese Ansicht im Hinblick auf das jetzt ergangene Urteil zu Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen aufrecht hält, bleibt abzuwarten.

Gesetzlichkeitsfiktion

Der BGH befasst sich in seinen Urteilen vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 & XI ZR 525/19 zudem erneut ausführlich mit der sogenannten Gesetzlichkeitsfiktion nach Art 247 § 6 Abs. 2 EGBGB.

Diese Gesetzlichkeitsfiktion sieht vor, dass wenn ein Verwender exakt das gesetzliche Muster für die Widerrufsinformationen verwendet hat, unwiderleglich vermutet wird, dass hinreichend über das Widerrufsrecht belehrt wurde.

Diese Gesetzlichkeitsfiktion ist vom Gesetzgeber so gewollt.

Laut BGH reicht es aus, um diesen Schutz zu verlieren, wenn in den Widerrufsinformationen Angaben zu Verträgen gemacht werden, die nicht geschlossen wurden.

Vorliegend wurde in den Widerrufsinformationen u.a. auf eine Restschuldversicherung Bezug genommen, die aber nicht abgeschlossen wurde.

Insbesondere in dem Abschnitt zu verbundenen Verträgen befinden sich oft in Widerrufsinformationen diverse Verträge, die optional geschlossen werden können, aber es tatsächlich ggf. nicht dazu kam (z.B. Versicherungsverträge).

Der Verlust der sogenannten Gesetzlichkeitsfiktion tritt daher sehr schnell ein. Fast jede inhaltliche Änderung des gesetzlichen Musters kann im Sinne dieser BGH-Rechtsprechung zum Verlust des Musterschutzes führen.

Vorliegend konnte sich die Bank daher nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen.

In Kombination mit dem ebenfalls im Muster und vom EuGH als irreführend eingestuften Kaskadenverweis auf § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art 247 §§ 6 – 13 EGBGB bedeutet dies, dass eine unwirksame Widerrufsbelehrung erteilt wurde und das Widerrufsrecht nicht nach zwei Wochen ablief.

Diese Kombination dürfte auf viele andere Verträge ebenso zutreffend sein.

Verzug und Rechtsanwaltsgebühren

Weiterhin hart bleibt der BGH bei seiner Ansicht zum Annahmeverzug der Bank und den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der BGH geht in seinen Entscheidungen vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 & XI ZR 525/19 davon aus, dass der Verbraucher im Widerrufsfall vorleistungspflichtig ist. Konkret bedeutet dies, dass er das erhaltene der Bank oder dem Vertragspartner anbieten muss. Erhaltenes Geld müsste z.B. zurückgezahlt werden, das Auto z.B. auf den Hof des Vertragspartners gefahren werden, nur dann würde der BGH an seiner Rechtsprechung gemessen ggf. den Annahmeverzug annehmen.

Das sind Voraussetzungen, die aus tatsächlichen Gründen für den Verbraucher oft nicht praktikabel sind. Insbesondere dann nicht, wenn die Bank oder der Vertragspartner die Sache nicht annimmt bzw. die Rückgabe/Rückzahlung tatsächlich verhindert, ohne damit den Annahmeverzug auszulösen.

Die Auswirkungen dieser harten Rechtsprechung des BGHs für den Verbraucher sind sehr groß.

Dies bedeutet, dass der Verbraucher nur dann ggf. seine außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten von der Gegenseite erstattet bekommt, wenn er ohne zuvor anwaltlichen Rat in Anspruch genommen zu haben, nicht nur den Widerruf erklärt, sondern selbstständig die Rückabwicklung vollständig erfasst, berechnet und vorgenommen bzw. tatsächlich angeboten hat. Erst dann und wenn er der Gegenseite eine ggf. noch notwendige Frist selbstständig gesetzt hat, kann er nach Ansicht des BGHs einen Rechtsanwalt beauftragen und bekäme sodann die Kosten hierfür vom Gegner ersetzt.

Die Voraussetzungen hören sich zwar zunächst einfach an, aber im Detail ist es sehr schwer die Rückabwicklung und den Widerruf durchzuführen, ohne dabei ggf. auf seine Rechte oder Ansprüche zu verzichten oder seinen eigenen Rechtsstandpunkt nachhaltig zu untergraben.

Der BGH macht es Verbrauchern an dieser Stelle deutlich schwerer ihre Verbraucherrechte effektiv geltend zu machen.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist zudem, dass als Folge dessen der Verbraucher gar nicht seine gezahlten Leistungen zurückverlangen kann bzw. dieser Klageantrag unbegründet ist, wenn er nicht seiner (Vor-) Leistungspflicht hinreichend nachgekommen ist (BGH 27.10.2020 – XI ZR 498/19, XI ZR 525/19).

Wertersatzanspruch

Der BGH erleuchtet die bisherige Rechtsprechung zum Widerruf von Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen zudem ganz erheblich beim sehr relevanten Thema des vom Verbraucher im Falle des Widerrufs zu leistenden Wertersatzes.

Der BGH führt zum Wertersatz in seinen Urteilen vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 & XI ZR 525/19 aus, dass bei einem widerrufenen Darlehensvertrag, der mit einem in stationären Handel abgeschlossenen Vertrag im Zusammenhang steht, andere Voraussetzungen für die Wertersatzpflichten gelten, als bisher teilweise angenommen wurde.

Für das Entstehen der Wertersatzpflicht kommt es daher nicht darauf an, ob der Verbraucher (auch) über sein Widerrufsrecht rechtskonform informiert wurde (§ 357 Abs. 7 Nr. 2 BGB), sondern es reicht aus, wenn der Verbraucher auf eine Wertersatzpflicht hinreichend hingewiesen wurde (§ 357 Abs. 7 Nr. 1 BGB). Dies ist dem BGH nach auch im Rahmen ansonsten fehlerbehafteten Widerrufsinformationen möglich.

Der Gesetzgeber habe dies nur für im Fernabsatz geschlossenen Verträge bzw. ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen so regeln wollen, dass der Verbraucher auch eine rechtskonforme Widerrufsbelehrung erhalten haben muss, damit der Verbraucher Wertersatz schuldet.

Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Verbraucher u.a. den objektiven Wertverlust des gekauften Autos im Rahmen der Rückabwicklung des widerrufenen Darlehensvertrages zu ersetzen hat. Der BGH ist der Ansicht, dass der Verbraucher sowohl Nutzungsersatz für die tatsächliche Nutzung als auch Wertersatz für den objektiven Wertverlust leisten muss.

Maßgeblich für die Wertfeststellungen ist jeweils die tatsächliche Übergabe bzw. Rückgabe des Autos (KfZ).

Nachdem der BGH hierbei auf den objektiven Verkehrswert des Autos bei Übergabe und tatsächlicher Rückgabe abstellt, kann dies erhebliche Auswirkungen auf den vom Verbraucher zu leistenden bzw. anzurechnenden Wertersatz haben.

Rechtsmissbrauch

Richtig heftig für Verbraucher werden sodann die Ausführungen des BGHs in seinen Urteilen vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 & XI ZR 525/19 zum Rechtsmissbrauch.

Laut BGH kann der Widerruf bereits deshalb rechtsmissbräuchlich sein, nur weil der Verbraucher sich darauf beruft, dass die sogenannte Gesetzlichkeitsfiktion nicht mehr gilt, weil der Unternehmer vom Muster abgewichen ist.

Der BGH führt aus, dass der Verbraucher vermeintlich dazu in der Lage sei zu erkennen, dass bestimmte Ausführungen, die zum Verlust des Musterschutzes führen, nicht für seinen konkreten Vertrag gelten würden. Würde sich der Verbraucher nunmehr auf diese „Fehler“ des Unternehmers berufen oder den daraus resultierenden Verlust des Musterschutzes, könne bereits alleine dieser Umstand die Rechtsmissbräuchlichkeit des Widerrufs begründen.

Generell könne es, so der BGH weiter, rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Verbraucher seinen Darlehensvertrag widerruft, nur um sein Fahrzeug zurückgeben zu können.

Das sind mit Verlaub krasse Aussagen des BGHs zum Widerrufsrecht und insbesondere zum angeblich rechtsmissbräuchlichen Verhalten von Verbrauchern.

Der BGH hatte einiges bisher durchaus anders gesehen. Auch andere Senate haben gerade beim Thema § 242 BGB vieles anders gesehen. Selbst der XI. Senat hatte bisher ausgeführt, dass der Umstand, dass der Widerruf die Rückabwicklung des Vertrages bedeutet, dies den Widerruf eigentlich gerade nicht rechtsmissbräuchlich macht (BGH 12.07.2016 Az. XI ZR 564/15).

Der § 242 BGB und die Grundsätze von Treu und Glauben hebeln die normale gesetzliche Lage mit ihrer Anwendung aus. Derartiges kann und darf nur in absoluten Einzelfällen und bei besonderen Umständen der Fall sein. In allen anderen Fallgruppen wäre der Gesetzgeber gefragt, die Rechtslage ggf. anzupassen.

Bemerkenswert an der Entscheidung des XI. Senates des BGHs ist einmal mehr mit welcher Leichtigkeit er die Annahme des Rechtsmissbrauches zum Nachteil des Verbrauchers im Rahmen der Anwendung des § 242 BGB ins Spiel bringt.

Generell sind die Urteile des BGHs vom 27.10.2020 – XI ZR 498/19 & XI ZR 525/19 für Verbraucher nur bedingt ein Fortschritt gewesen. Die weiteren Ausführungen des BGHs dürfte die anfängliche Freude über die Aufgabe der Blockadehaltung gegenüber dem EuGH trüben.

Allerdings macht die Entscheidung ebenfalls sehr deutlich, dass alle betroffenen Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge mit dem Kaskadenverweis fehlerhaft sind und sofern die Gesetzlichkeitsfiktion nicht greift, potenziell widerruflich sein können.

Dies zumindest dann, wenn man dem vom BGH sehr allgemein gefassten Rechtsmissbrauchseinwand entkommen kann und der Widerruf aufgrund der vom BGH bestimmten Rückabwicklungsmethode Sinn macht.

Betroffene Verbraucher sollten nicht zögern anwaltiche Beratung in Anspruch zu nehmen, sollten sich jedoch auch der ggf. eintretenden Kostenfolgen bewusst sein.